03/01/2023

Ausbildungsverbünde. Gewerbevereins-Präsident Peter Lieber beschreitet neue, kreative Wege für mehr Fachkräfte und will Jugendliche aus höheren Schulen „mobilisieren“

Im Kampf gegen den Fachkräftemangel müssen auch neue Wege in der betrieblichen Ausbildung eingeschlagen werden. Einer davon heißt Kooperation. So ist es in der Schweiz schon lange üblich, dass sich Handwerks- und Gewerbebetriebe ihre Lehrlinge teilen. Meist fungieren die Branchenverbände selbst als Leitlehrbetrieb, suchen die Bewerber aus und stellen die Jugendlichen an. Solche betrieblichen Ausbildungsverbünde stecken in Österreich noch in den Kinderschuhen, auch weil es administrative Hürden gibt.

Der private Österreichische Gewerbeverein (ÖGV), der mehr als 3.500 Mitgliedsbetriebe aus unterschiedlichen Branchen und Größen zählt, startet eine neue Offensive. „Es kann nicht sein, dass wir über zu wenig Nacwuchs jammern, wir müssen einfach mehr dafür tun“, sagt ÖGV-Präsident Peter Lieber zum KURIER.

„Start-up-Lehre“

Die Idee existiert schon länger, jetzt soll sie in die Gänge kommen. Unter dem Schlagwort „Start-up-Lehre“ tun sich Leitlehrbetriebe mit Start-ups, in der Regel Klein- und Kleinstbetriebe, zusammen, um gemeinsam Nachwuchs auszubilden und somit Erfahrung und Gründerspirit zu kombinieren. Dabei obliegt die fachliche Ausbildung dem Leitlehrbetrieb, die Jungunternehmen übernehmen die Jugendlichen für eine bestimmte Ausbildungszeit. Vorteil für die Betriebe: Aufwand und Kosten werden geteilt, sodass auch hoch spezialisierte Start-ups Jugendliche ausbilden können. Auch öffentliche Förderungen gibt es. Vorteil für die Lehrlinge: Sie lernen mehrere Betriebe und Tätigkeiten kennen und sind daher flexibler einsetzbar. Ein erstes Projekt mit 17 Lehrlingen, die bei A1 als Leitlehrbetrieb, dem Start-up Telehase sowie der Software-Schmiede LieberLieber von Peter Lieber ihre Ausbildung absolvieren.

Der ÖGV hilft bei der Bewerbersuche und bietet Upgrades für Lehrlinge an. Lieber hofft angesichts des Personalmangels in bestimmten Bereichen auf viele Firmeninteressenten, klagt aber zugleich über Hürden. „Es ist immer noch extrem aufwendig und viele Betriebe wollen aus Wettbewerbsgründen gar
nicht, dass ihre Lehrlinge auch woanders arbeiten“, erzählt er. Egoismus helfe in Zeiten einer akuten Fachkräftekrise aber nicht weiter.

Gemeinsame Lehrlingsausbildung sei auch deshalb wichtig, weil sich ansonsten immer mehr Betriebe aus der Ausbildung verabschieden. Durch den Strukturwandel in der Wirtschaft sind die Betriebe immer stärker spezialisiert und könnten deshalb im eigenen Haus nicht den gesamten Lehrinhalt abbilden. „Mit den Ausbildungsverbünden könnten wir eine ganz neue Dynamik in die Lehrausbildung bringen“, ist Lieber überzeugt. Auch die Kooperation zwischen Lehrbetrieben und der überbetrieblichen Ausbildung (ÜBA) in staatlich finanzierten Lehrwerkstätten müsse nachgebessert werden.

Lehre statt Schule

Lieber plädiert auch für eine stärkere „Mobilisierung“ von Schülerinnen und Schülern aus AHS, HAK oder HTL für die Lehre. Besonders in den Gymnasien würden viel zu viele lernschwache Schülerinnen und Schüler sitzen, die besser für eine betriebliche als allgemeine Ausbildung geeignet wären, meint Lieber. Diese wären mit entsprechenden Angeboten und Initiativen aus der Wirtschaft durchaus mobilisierbar. An der Wiener HTL TGM etwa, in dessen Kuratorium Lieber sitzt, wurde ein eigenes betriebliches Auffangnetz für Schulabbrecher geschnürt. Ein Pool an Firmen bietet Lehrstellen für die Schulabbrecher an. „Das TGM kann somit jedem Schüler eine Ausbildungsgarantie geben.

Von Anita Staudacher

Erschienen im Kurier am 3.1.2023