09/10/2019

Tote Vögel und autonome Autos

Das neue Reizwort heißt 5G. Die einen sehen die Technologie als Heilsbringer für die Zukunft, die anderen fürchten sich davor wie der Teufel vor dem Weihwasser und warnen vor einer wahren Krebsepidemie.

„Die Vögel werden vom Himmel fallen!“ „Wir werden eine ungeahnte Welle an Hirntumor-Erkrankungen erleben!“ So und so ähnlich klingen die düsteren Prophezeihungen der Gegner der neuen Mobilfunk-Technologie 5G. Demgegenüber steht eine Vielzahl von Vertretern aus der Wirtschaft, die große Zukunftshoffnungen in das neue Netz setzen. Eine nüchterne Analyse entzaubert viele negative Mythen, dämpft aber auch überbordende Euphorie.

Die Berater von Cap Gemini haben Entscheidungsträger großer Unternehmen nach ihren Erwartungen an das neue Netz befragt. Demnach glauben 75 Prozent der Führungskräfte von Industrieunternehmen, dass 5G der Schlüsselfaktor für ihre Digitale Transformation in den nächsten fünf Jahren sein wird. Damit messen sie dieser Technologie die zweitgrößte Bedeutung nach Cloud Computing (84 Prozent) bei und stellen sie noch vor Innovationstreiber wie Automatisierung und Künstliche Intelligenz/maschinelles Lernen. Allgemein sind Unternehmen davon überzeugt, dass die Eigenschaften von 5G dazu beitragen werden, die Herausforderungen im Zusammenhang mit Konnektivität zu meistern und zukünftige Anwendungsfälle zu unterstützen. Knapp ein Drittel der Industrieunternehmen plant sogar, eigene Lizenzen zu beantragen.

Wieso ist der Hype so enorm?

5G ist der neue Mobilfunkstandard der fünften Generation, der das 3G- und 4G-Netz ergänzen wird. Konsumenten können nur mit neuen, 5G-fähigen Geräten von schnellerem Internet profitieren. Im 5G-Netz können sich bis zu 1 Million Geräte pro Quadratkilometer ins Mobilfunknetz einloggen. Das sind 100 Mal mehr als heute. Die spürbarsten Vorteile dürfte 5G privaten Nutzern daher überall dort bringen, wo viele Menschen zusammenkommen und gleichzeitig online sein wollen.

Vielmehr profitieren Unternehmen. 5G ermöglicht neue Anwendungen für IoT (Internet of Things), Autonomes Fahren, medizinische Anwendungen und natürlich Augmented und Virtual Reality. Massive Auswirkungen auf Sektoren wie die Autoindustrie, Logistik, das Gesundheitswesen aber auch Medien und Bildung sind damit vorporgrammiert.

5G bietet gleich mehrere Vorteile gegenüber den bislang eingesetzten Netzen. Neben der um einiges höheren Geschwindigkeit sind vor allem die sogenannten geringen Latenzen vielfältig nutzbar, Während man heute im Funknetz schon mit Geschwindigkeiten von 20Mbit/s jubilieren muss, sollen im 5G Netz Mindestspeed-Vorgaben von 100 Mbit/s der Standard sein – mit dem Potenzial für weit höhere Raten. Dazu kommen eben sehr schnelle Reaktionen und Steuerprozesse möglich werden. Hier spricht man von der potenziellen Reduktion auf 1 Millisekunde.

Der größte Unterschied ist aber die flexible Nutzung: Bei 5G wird es eine Vielzahl von Netzebenen geben, die parallel unterschiedliche Anwendungen bedienen können, zum Beispiel für Kunden aus der Industrie. Jede Anwendung erhält eine eigene und passende Ebene. Diese Technologie, das Netz sozusagen in unterschiedliche „Scheiben“ zu schneiden, nennt sich Network Slicing. Dank der dadurch entstehenden Flexibilität können reale Netzkapazitäten abhängig vom Bedarf zu virtuellen Netzbereichen zusammengeschaltet werden, d.h. auch kundenspezifische Lösungen sind möglich.

5G ermöglicht es beispielweise, nach einem Unfall das verletzte Opfer mit einer Sonde zu diagnostizieren. Die Daten werden vorab an den behandelnden Arzt übermittelt, der schon früh alle notwendigen Schritte einleiten kann.

Und: die Vernetzung von Märkten, Branchen, Industrien und der Gesellschaft wird sich weiter verändern. Steht heute die Vernetzung von Menschen im Vordergrund, wird es in Zukunft um die Vernetzung von Dingen gehen. Begriffe wie Industrie 4.0, Machine-to-Machine-Kommunikation (M2M) oder das Internet der Dinge (Internet of Things – IoT) beschreiben die Vernetzung von Maschinen und Geräten aller Art. Ein neues Netz ist auch absolut notwendig. Schon 2017 war mit rund  8 Milliarden die Zahl der Handys höher als jene der Zahnbürsten. Durch das Internet der Dinge wird die Zahl der vernetzten Geräte schon nächstes Jahr bei rund 20 Milliarden liegen. Vom Sportschuh über den Kühlschrank bis zu den unzähligen Sensoren im Transportbereich – die Menge wird exponentiell ansteigen. 5G soll hier für 500 Milliarden Geräte und mehr konzipiert sein.

Wichtiger Faktor ist natürlich auch der Energieverbrauch, der durch das neue Netz erheblich sinken soll. Ein Teil der angesprochenen IoT-Geräte werden Sensoren sein, die im Idealfall autark über viele Jahre laufen. Um hier ohne Batteriewechsel auszukommen, müssen die Geräte extrem energiesparsam sein.

 

Die Anwendungsgebiete für 5G können mit den folgenden Nutzungsszenarien gut umrissen werden:

1) Highspeed-Zugriff für jeden überall mit wenigstens 100+ MBit/s

2) Highspeed-Breitbandinternet in dicht besiedelten Gebieten (Großstädten),

3) ungestörte Datenverbindung auch bei Mobilität (z.B. Zug),

4) technische Grundlage für das „Internet der Dinge“ (IoT)
E-Health, Industrie 4.0, Logistik, Smart City, Smart Farming

5) Ultra-Reliable & Low Latency Communications (URLLC),

6) neue Broadcast-Techniken (z.B. Live TV für mobile Geräte in Ultra-HD)

7) Augmented Reality Maintenance

 

 

Die ersten Segmente, wo eifrig entwickelt und experimentiert wird, konzentrieren sich auch dort, wo die Nutzung dieser Szenarien am meisten Vorteile bringt:

Mobilität: Das hochautomatisierte Fahren wird durch 5G einen neuen Sprung in der Entwicklung machen. Die ständige Anbindung an eine Verkehrsdaten- und Fahrzeugsensor-Cloud wird die Zuverlässigkeit und Eigenintelligenz hochautomatisierter Fahrzeuge deutlich steigern. Und Car-to-Car-Kommunikation wird assistiertes Überholen oder die Bereitstellung von Rettungsgassen erleichtern.

Diese neue Form der Mobilität wird natürlich auch große Auswirkungen auf Logistik und Handel haben. Dabei ist nicht nur der Transport über große Strecken hinweg betroffen, sondern auch die sogenannte „Letzte Meile“, wo autonome Lösungen ausgestattet mit entsprechenden Algorithmen gänzlich neue Geschäftsmodelle eröffnen können.

 

eHealth, Assisted Living und Co: Fernoperationen über große Entfernungen hinweg, Frühwarnsysteme über Sensoren, Intensivmedizin auch in entlegenen Gebieten – die Visionen sind zahlreich – naturgemäß steht hier für die Entwicklung aber auch viel Kapital zur Verfügung.

 

Industrie 4.0: Natürlich wird auch die Industrie von den neuen Möglichkeiten profitieren. Hoch individualisierte Produktionsprozesse setzen sowohl perfekte Rohstoff- und Waren-Logistik sowie optimal vernetzte Maschinen voraus.

 

Medien und Kreativwirtschaft: Nicht zuletzt die Medienwelt wird einer weiteren Revolution unterworfen. Wer heute versucht, im vollbesetzen Stadion bei einem Rockkonzert ein Bild hochzuladen wird oft scheitern. In Zukunft wird es in Echtzeit möglich sein, aus tausenden generierten Videos von Nutzern einzig- und neuartigen Content bei Events zu generieren. Schon heute gibt es Reporter-Apps, die Leser/Teilnehmer/Zuschauer zu Content-Lieferanten machen.

 

Mit großem Aufwand präsentiert Samsung mit dem S10 sein erstes 5G-fähiges Smartphone.

Mit großem Aufwand prästiert Samsung mit dem S10 sein erstes 5G fähiges Smartphone (Bild: Samsung)

 

Und die Unkenrufe?

Immerhin 180 Wissenschafter und Doktoren aus 35 Länder haben in ihrem sogenannten „5G-Appeal“ auf die möglichen gesundheitsschädlichen Auswirkungen des neuen Netztes hingewiesen. Hauptargument ist dabei, dass die negativen Auswirkungen elektromagnetischer Felder auf menschliches Gewebe bereits nachgewiesen sind und 5G die Zahl dieser Felder vervielfache.

Demgegenüber wird vor allem von seiten der Behörden aber natürlich auch der Telekom-Industrie argumentiert, dass die bestehen Grenzwerte eben die Menschen schützen würden und dass dies ausreichend sei. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass die Lobbyisten der Anbieter gerade auf eine Ausweitung ebendieser Grenzwerte drängen, um den raschen Ausbau günstiger und einfacher zu machen.

Wahr ist jedenfalls definitiv, dass negative Folgen bislang nicht eindeutig nachgewiesen bzw. nicht zugeordnet werden konnten. Wer sich vor den elektromagnetischen Feldern schützen will, befolgt am besten die folgenden einfachen Regeln: Nutzung eines Handy mit einem möglichst geringen „SAR-Wert“, Abschaltung von WLANS in der Nacht, Verwendung von Freisprecheinrichtungen, u.ä. Das ist jedenfalls wirkungsvoll und einfach für jeden Einzelnen umzusetzen.