17/04/2018

DESIGN THINKING ON STERIODS WIE SIE PROBLEME IN NUR 5 TAGEN LÖSEN

Innovationsabteilungen schwören auf Design Thinking als Mindset, Methode oder Prozess, um ihre Produktideen zu entwickeln.

Ein gut gestalteter Design Thinking Prozess kann schon mal mehrere Monate umfassen. Immerhin wollen ja Kundeninterviews geführt, Problemanalysen durchgeführt, Ideen gefunden, Prototypen gebaut und getestet werden. Andererseits habe ich häufig auch 1-2 tägige Design Thinking Sessions beobachtet, die schnell mal neue Ideen und Konzepte hervorbringen, oder zumindest sollen. Beide Zugänge haben ihre Vor- und Nachteile. Entweder dauern sie zu lange und verlieren an Energie oder sie sind zu kurz bemessen um das Feuer erst so richtig zu entfachen.

Das Problem mit der Problemlösung

Wie kann es sein, dass Entwicklungsteams sehr wohl in der Lage sind während eines Hackathons ein Game in 48 Stunden auf die Beine zu stellen, aber im Arbeitsalltag 6-8 Wochen oder gar noch mehr Zeit benötigen, um neue Features zu produzieren? Häufig liegt es an den organisatorischen Abstimmungswegen. Entwicklungsprojekte werden über einen langen Zeitraum geplant, es gibt Abstimmungsmeetings ohne Ende und wenn eine Entscheidung benötigt wird, sind die Entscheidungsträger häufig nicht ad-hoc verfügbar. Darüber hinaus werden bei Entscheidungen die Kunden nur selten einbezogen, folglich werden diese annahmenbasiert getroffen. Meistens fehlt einfach die Zeit, sich einem Problem in der richtigen Tiefe zu nähern, um es richtig und nachhaltig zu lösen. Ach ja und einen weiteren Punkt hätten wir noch: Viel zu häufig wird einfach nur geredet und nichts gemacht.

Diesem Problem sind wir bei Haufe ebenfalls regelmäßig begegnet. Daher haben wir uns entschlossen ein neues Format auszuprobieren – Design-Sprints. Design-Sprints versprechen “große Probleme in nur 5 Tagen zu lösen”. Ein sehr waghalsiges Versprechen, denn wie soll eine Methode das schaffen, was unsere ausgeklügelten Organisationsstrukturen nicht auf die Reihe bringen?

Was ist denn nun ein Design-Sprint?

Design-Sprints wurden von Google Ventures (GV) als Prozess und Methode entwickelt, um die Startups, in welche GV investiert, bei Ihren Problemstellungen effizient und effektiv zu unterstützen. Jake Knapp beschreibt die Methode im Detail in seinem 2016 erschienenen Buch “Sprint –How to solve Big Problems and test New Ideas in just Five Days”.

Dabei handelt es sich um einen 5-tägigen Problemlösungsprozess, an dessen Ende ein konkretes überprüftes Konzept/Produkt/Dienstleistung steht. In diesen Tagen sperrt sich ein 7-10 köpfiges interdisziplinäres Team ein und versucht das vorliegende Problem zu lösen. Es fokussiert sich rein auf die Problemstellung und Lösungsfindung und ist während dieser Zeit für andere Themen nicht erreichbar. Das dies auf den ersten Blick einen großen Zeitinvest darstellt ist mir klar, doch hat man einen Design-Sprint einmal erlebt, wird man schnell merken, wie effizient diese 5 Tage sind. Würde man versuchen dasselbe Ergebnis mit herkömmlichen Abläufen erreichen zu wollen, dann würde es in Summe mehr als 5 Tage Zeit je Teilnehmer in Anspruch nehmen.

Welche Problemstellung sollen wir wählen?

Bevor ein Design-Sprint durchgeführt werden kann, muss sich das Team, die Auftraggeber oder die Organisation im Klaren sein, welche Problemstellung sie lösen wollen oder müssen. Dabei gibt es drei Kategorien die ideal für einen Design-Sprint sind:

1. Es steht viel auf dem Spiel: Handelt es sich um ein Problem dessen Lösung viel Zeit und Geld in Anspruch nimmt, so kann ein Design-Sprint mit relativ wenig Aufwand eine konkrete Fahrtrichtung vorgeben, bevor ein Invest getätigt wird

2. Nicht genügend Zeit: Sicherlich eine der häufigsten Herausforderung. Aber wenn Sie vor einer harten Deadline stehen und gute Lösungen schnell benötigen, kann ein Design-Sprint eine gute Lösung sein. Immerhin ist er auf Geschwindigkeit optimiert.

3. Es steckt fest: Viele Projekte verlieren irgendwann an Geschwindigkeit und Euphorie und drohen fest zu stecken. Entweder fehlen inspirierende Ideen, wie es weiter gehen könnte, oder die vielen Tasks rauben dem Team die Energie neue Zugänge zu finden. Hier kann der Design-Sprint einen richtigen Boost für die Energie des Teams erzeugen.

Stellen Sie sicher, dass die Problemstellung groß, aber klar ist. Damit steht und fällt der Erfolg eines Design-Sprints. Schon häufig habe ich erlebt, dass die Erwartungshaltungen zu breit und überhöht waren. Statt einem Problem, lagen plötzlich 5 auf dem Tisch. Dadurch steigert sich die Komplexität und obgleich dieses Format großes verspricht, so können wir nach wie vor nicht zaubern und die Welt vor dem Untergang retten.

Hier einige Beispiele an Problemstellungen, die wir in den letzten Monaten gelöst haben:

  • Wie könnte eine Mobile Strategie für unser Produktportfolio aussehen?
  • Wie sehen die Organisationsstrukturen der Zukunft aus, um agil und effizient zu arbeiten?
  • Wie können unsere Produkte vermarktet werden, damit sie Entscheidungsträger massiv ansprechen?
  • Wie können wir demokratische Entscheidungsprozesse stärker in unserer Organisation verankern?
  • Wie muss das Produkt gestaltet sein, damit die Nutzer es lieben?
  • Wie können wir in einer Woche ein druckfähiges Buch schreiben? 

Wer sollte am Design-Sprint teilnehmen?

Haben Sie ein Problem ausgewählt geht es nun darum ein Team zusammen zu stellen.

Ähnlich wie bei einem Bank- oder Casino-Überfall benötigen Sie Spezialisten im Team.

  • Der Entscheider: Wer trifft die Entscheidung? z.B. CEO, Produktmanager, Projektmanager, …
  • Der Finanzler: Wer versteht die Zahlen und kennt das Geschäftsmodell? z.B. CFO, Business Development, Controlling,…
  • Die Marketerin: Wer formt die Botschaften der Organisation? Z.B. Marketing, PR, Copy-Writing,…
  • Die Kundenversteherin: Wer spricht regelmäßig mit Kunden? Z.B. Researcher, Sales, Kunden-Support, …
  • Der Techie: Wer versteht die Technologie und was die Organisation leisten kann? Z.B. CTO, Entwickler, Ingenieure, …
  • Die Designerin: Wer gestaltet die Produkte des Unternehmens? Z.B. Designer, Produkt Manager, …

Wählen Sie ein Team von 7-10 Personen nach diesen Rollen aus und stellen Sie sicher, dass diese Personen die gesamten 5 Tage für den Design Sprint freigestellt werden. Involvieren Sie auch Querulanten oder Kritiker im Team. Menschen die immer wieder zu Problemen führen oder Kritik üben. Das mag einerseits für Unruhe sorgen, doch sind dies meist jene Personen die eine andere Perspektive auf die Problemstellung haben. Beziehen Sie diese aktiv in den Sprint ein, so können Sie zu aktiven Mitstreitern werden. Viel wichtiger ist jedoch ihre Perspektive, denn sie wird das restliche Team anspornen das Problem aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. Eine Grundvoraussetzung für einen Design-Sprint.

Zusätzlich benötigen Sie noch einen Facilitator für diese Woche. Wählen Sie hier eine Person, die bereits Erfahrung mit Design-Sprints hat und den Prozess für Sie gestaltet und begleitet. Der Facilitator darf auf keinen Fall aktiv im Design-Sprint mitarbeiten. Seine oder Ihre Rolle ist es den Prozess für alle Beteiligten zu gestalten und neutral die Sessions zu moderieren.

Abschließend werden Sie einige Experten benötigen, die am Montag im Design-Sprint dem Team Rede und Antwort stehen, um eine externe Perspektive auf die Problemstellung zu bekommen. So können Bedürfnisse und Fragen direkt geklärt werden.

Wie läuft der Design Sprint nun ab?

Haben Sie ihr Team beisammen und alle notwendigen Vorbereitungen getroffen kann es endlich losgehen. Ein Design-Sprint unterteilt sich in 5 Tage, wobei jeder Tag ein spezielles Tagesziel verfolgt.

Hier wäre es vielleicht noch wichtig zu erwähnen, dass Design Sprint Tage 6 Stunden Arbeitszeit pro Tag beinhalten. Also täglich von 10 – 13 und von 14 – 17 Uhr gehen. Die Limitierung auf 6 Stunden stellt sicher, dass genügend Regenerationszeit für das Team zur Verfügung steht und diese davor und danach noch die eine oder andere E-Mail beantworten können.

Der Montag – Das Problem verstehen

Am Vormittag dreht sich alles um ein gemeinsames Problemverständnis. Wie Einstein schon sagte: “Ein gut definiertes Problem ist bereits zur Hälfte gelöst”. Sie werden auf einem Whiteboard das Pferd (Problem) von hinten aufzäumen und mit dem gewünschten Ergebnis beginnen. Anschließend erarbeiten Sie alle Schritte oder Aspekte die im Vorfeld passieren müssen, um zum gewünschten Ergebnis zu gelangen. Damit entsteht eine Landkarte zur Orientierung. Mit einem gemeinsamen Problemverständnis können Sie dann die Zielsetzung für den Sprint gemeinsam erneut schärfen. Am Nachmittag kommen die Experten zu Besuch. Entweder real oder über Video-Konferenz. Mit ihnen validieren Sie Ihr Problemverständnis. Haben Sie es richtig verstanden? Haben Sie etwas Wesentliches vergessen? Können Sie das Verständnis noch intensivieren?

Der Dienstag – Mit Inspiration Lösungsansätze finden

Die Kreativität steht ganz im Zentrum des Dienstags. Die Teilnehmer suchen nach bestehenden Lösungen aus anderen Branchen und themenfremden Bereichen, um sich gegenseitig zu inspirieren und die Gedanken zu öffnen. Am Nachmittag arbeitet jeder im Team für sich, um Ideen und Lösungskonzepte zu entwickeln. Diese werden so aufbereitet, dass sie am Mittwoch selbsterklärend von allen Teilnehmern betrachtet werden können.

Der Mittwoch – Kritisches Denken ist gefragt

Am Mittwoch fällt der Vorhang und alle Lösungskonzepte vom Vortag werden wie in einer Kunstausstellung präsentiert. Dabei machen sich die Teilnehmer Notizen über Fragen und Unklarheiten. Jede Idee wird von der Gruppe in einer Speed-Kritik Session auseinandergenommen, um den Kern der Lösung zu erfassen und zu verstehen, was funktioniert und was nicht. Am Nachmittag kommt der Entscheidungsprozess. Die Gruppe wählt jenes Konzept, welches am Vielversprechendsten erschient, um das Ziel der Woche zu erreichen. Der Entscheider hat allerdings die Macht die Gruppenentscheidung zu übertrumpfen. Das liegt vor allem daran, dass der Entscheider meist die Auswirkung und Größe der Idee besser abschätzen kann, aufgrund der Unternehmensinformationen die ihm oder ihr vorliegen. Ist ein Konzept gewählt beginnen die Teilnehmer ein Storyboard zu erarbeiten und inkludieren auch Teilaspekte der anderen Lösungskonzepte. Dieses Storyboard dient als Schritt-für-Schritt Anleitung für den Prototypen am nächsten Tag. Parallel beginnen die Kundenversteher den Freitag vorzubereiten und Kunden und Nutzer zu identifizieren, mit denen der Prototypen getestet wird. Dies können interne Experten sein, doch die Erfahrung zeigt, dass externe Personen ein viel offeneres und konkreteres Feedback geben.

Der Donnerstag – Fake it till you make it

Nun werden die Ärmel hochgekrempelt und der Prototyp gebaut. Das Team teilt sich die Aufgaben des Prototyps untereinander auf. Die einen kümmern sich um die Inhalte, die anderen um die Gestaltung und widerum andere darum, dass alles am Ende zusammenpasst. Man spürt förmlich die Energie, wie etwas Neues entsteht. Wichtig ist es hier einen Prototyp des Konzepts zu bauen, der so nahe an der Realität liegt wie nur möglich. Wenn es nicht gebaut werden kann, kann es gefälscht werden. Papier-Prototypen und Skizzen funktionieren hier leider nicht, das mussten wir schmerzhaft in einigen Sprints erfahren. Es geht darum, den Testpersonen am Freitag das Gefühl zu vermitteln reale Produkte/Geschichten/Dienstleistungen vor sich zu haben und Geld dafür ausgeben zu wollen.

Der Freitag – Die Realität schlägt zu

Bisher hat das Team bereits großartiges geleistet: Basierend auf einer Problemstellung wurde eine konkrete reale Lösung entwickelt. Am Freitag geht das Team allerdings noch einen Schritt weiter. Sie testen den Prototypen mit echten Kunden oder Nutzern. Die Kundenversteher haben ja parallel bereits Kunden oder Nutzer eingeladen. Am Freitag wird der Prototyp in 60 min. Sessions von diesen Personen betrachtet und ausprobiert. Eine Person aus dem Team führt das Interview während der Rest des Teams nur beobachtet und Notizen macht. Wie verhalten sich die Kunden? Wo tun sich die Nutzer schwer? Was ist noch nicht verständlich? Was wird lobenswert hervorgehoben? Ziel ist es echte Reaktionen zu beobachten und festzuhalten und nicht nur Feedback zu bekommen. Alle Beobachtungen werden gesammelt und nach den Interviews im Team miteinander aufgearbeitet. Wichtig ist es hier gemeinsam das Lernen im Fokus zu behalten. Denn über einen realen Test kommen Erkenntnisse und Verbesserungen zu Tage, die dem Team helfen, den Prototyp weiter zu verbessern und konkrete nächste Schritte zu definieren.

 

 

Das Fazit – Ist es das wert?

Der Design-Sprint durchläuft die Phasen des Design Thinking Prozesses innerhalb von 5 Tagen.

Kompakt und intensiv aber energetisch und kreativ. Betrachtet man die Ergebnisse die durch dieses multi-disziplinäre Team erarbeitet werden, kommt ein beeindruckendes Gefühl und Ergebnis zustande.

Am Ende eines Design-Sprints kommt dieses “Workshop-High” in allen Teilnehmern hoch. Sie sind zu Recht stolz auf ihre Ergebnisse und ganz verwundert, welche Kraft in so einer Woche stecken kann – was in 5 Tagen tatsächlich möglich ist.

Ich kann aus eigener Erfahrung nur jedem Unternehmen empfehlen Design-Sprints zumindest einmal auszuprobieren. Wir haben in unserem Team auf einen 3 wöchigen Sprint-Modus umgestellt. Das heißt wir führen mit unterschiedlichen Teams alle 3 Wochen einen Design-Sprint durch. Die Woche davor dient als Vorbereitung und die Woche danach als Nachbereitung, um den Transfer in die Organisation sicher zu stellen. Das machen wir nun seit ca. 6 Monaten und konnten die Innovationskraft massiv steigern. Durch die realen Prototypen sind wir auch in der Lage, die Konzepte und Ideen schneller, verständlicher und damit leichter in der Organisation zu verankern. Das führt dazu, dass immer mehr Bereiche in unserer Organisation die Methodik nutzen wollen, um ihre Probleme damit zu lösen. Versuchen auch Sie es. In diesem Sinne, viel Spaß beim Sprinten.

Über den Autor Manuel Grassler

Manuel Grassler ist Design Thinker, Konzepter, Facilitator und Rebell bei der Haufe-umantis AG in der Schweiz und Gründer der VISIONEN BAUEN – Innovations- und Organisationsberatung in Graz. Ständig auf der Suche nach neuen Ansätzen, Methoden und Denkweisen, entwickelt er neue Konzepte und verhilft Unternehmen zu mehr Kreativität und Innovation. Dabei hinterfragt er Bestehendes und stellt den Menschen mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt.

www.rhythmix.haufe.com 

www.visionenbauen.at